Der Komponist Sigfrid
Karg-Elert (1877-1933) forderte von einem "Kunstharmonium"
die Erfüllung folgender Kriterien:
Das Kunstharmonium,
das seinen Namen ehrlich trägt, besitzt
Druckluftanlage, hat 2 vollkommen selbständige,
voneinander unabhängige Expressionen (für jede
Spielhälfte eine) [...], Klaviaturskala
C-c4, mit e/f-Teilung,
2 pneumatisch-automatische Forte expressifs, 2 Métaphones,
2 starre Forte fixes, mindestens ein Baßprolongement
C-H mit automatischer Auslösung und einer
Hackenintermittierung [...],
Vierspieldisposition mit Perkussion, dazu Äolsharfe
2' im Baß, einen streichenden 16', einen
weihevoll-schwebenden 16' und einen sonoren, höchst
expressiven 32' im Diskant.
Unser Exponat erfüllt
einige dieser Kriterien.
Gleichzeitig äußerte
sich Karg-Elert über die Namenswahl "Kunstharmonium":
Aus der künstlerischen
Perspektive betrachtet, mutet die Betonung des
Wortes "Kunst"-Harmonium freilich etwas
reklamehaft oder mindestens industriell an. Der
seriöse Musiker, der keine Kunstviolinen,
Kunstklaviere, Kunstorgeln usw. kennt, [...]
nimmt leicht Anstoß an diesem Beiwort und
wittert erfahrungsgemäß (allerdings gänzlich
unbegründet) mehr "Künstelei" als
"Kunst", die sich für ihn, bei einem
ernst zu nehmenden Instrumente, ja von selbst
versteht.
Die doppelte Expression
und das Bassprolongement mit
Hackenintermittierung erfordern eine spezielle
Pedaltechnik, die nur von wenigen Spielern
beherrscht wurde. Mit den beiden Kniehebeln lässt
sich die doppelte Expression ganz oder teilweise
ausschalten, so dass auch ein Spieler mit dem
Instrument zurechtkommt, der mit der Expression
nicht vertraut ist.
Die Harmoniumfabrik Hörügel
wurde 1893 in Leipzig gegründet. Bereits 1928
waren weit über 40.000 dort gebaute Instrumente
in Gebrauch. Der Bau von Kunstharmoniums oder ähnlichen
Instrumenten ist in Bezug auf die Firma Hörügel
nicht überliefert. Andere Firmen bauten vier bis
sieben derartige Instrumente pro Jahr, so dass
sich der Anteil an der Gesamtproduktion im
Zehntausendstelbereich bewegt.
Die Ziffern vor einigen
der Registernamen beziehen sich auf eine zur Blütezeit
des Harmoniums praktizierte Normierung von
Registrieranweisungen. In vielen Harmoniumnoten
wurden lediglich diese Ziffern als
Registrieranweisungen abgedruckt.
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